Den Hipster umarmen

 

Den Hipster umarmen

 

Politik ist das Geschäft der Gemengelagen. Pointierte Aussagen darin Halbwahrheiten, aber immerhin solche, die die Richtung anzeigen. In großen Augenblicken die strategische, oft muss uns die taktische reichen.

 

So arbeitet Sahra Wagenknecht sich an der hippen Wählerschaft der Grünen ab. Irgendwie mutet mir ja auch diese Gattung der Hipster, die meinen, sich durch den Kauf des einzig richtigen Müsliriegels selbst heiligsprechen zu dürfen, seltsam an. Allein hat diese Taktik der Selbstkanonisation eine ganz materielle Nebenwirkung: Unter den verschiedenen Müsliriegeln wird einer ausgewählt, dessen Produktion für fair, nachhaltig und das Produkt für gesund gehalten wird. Für den höheren Preis setzt der Hipster sein überdurchschnittliches Kapital ein. Die Effekte sind unterschiedlicher Natur:

 

Erstens sind die Gewinnmargen von ethisch gelabelten Produkten relativ hoch. Würden allerdings solche ethischen Maßstäbe durch grüne Politik allgemeinverbindlich, entfielen  sie als Alleinstellungsmerkmal, womit die Gewinnmarge schrumpfte. Dies gilt für ehrliche und unehrliche Anpreiser ethisch angesehener Ware. Auch jetzt schon werden etliche Produzenten einen ethischen Anspruch nur vortäuschen, was die Trefferquote des Hipsters verschlechtert. Aber dort wo er trifft, kauft er eine Ware, für deren Produktion mehr Aufwand betrieben werden musste, was eben einen größeren Einsatz von Arbeitskräften bedeutet. Seine Konsumstrategie bewirkt also eine höhere Nachfrage am Arbeitsmarkt, was der Klasse zugute kommt, für die Frau Wagenknecht berechtigterweise eintritt. Andererseits werden Schäden an Gemeingütern vermieden, für deren Behebung die Steuerzahler aufkommen werden.

 

Nun entspringt  die Konsumstrategie des Hipsters einer Reinlichkeitsmoral, die also Biomüsliriegel fordert aber bitte einzeln verpackt. Das dürfte vorher die ökologische Verträglichkeit des Packungsinhaltes aufwiegen.  Das schöne an einer solchen Doppelmoral ist, dass man ihren Eigner vor seinen eigenen Ansprüchen hertreiben kann. Er verkörpert diese Doppelmoral sozusagen öffentlich, womit er ihre Überarbeitung ermöglicht. Der Hipster hat zwar ein ähnlich ästhetizistisches Verhältnis zum Guten wie zu seinem geölten Vollbart. Gerade wegen seiner verlässlichen Eitelkeit können wir ihn  aber als nützlichen Idioten der guten Sache öffentlich umarmen.

 

Seine Reinlichkeitsmoral hat noch einen politischen Nebeneffekt: Die Neigung das Übel mit der Wurzel auszureißen. So will er Aldi-Filialen zugunsten von Ökobäckereien schließen, ohne abzugleichen, ob ein guter Teil der Nachbarschaft auf die Billigwaren angewiesen ist. Diesem ökologisch-alternativen Rigorismus, wie er in Kreuzberg beobachtet werden konnte,  entgegenzutreten ist tatsächlich die Pflicht der Linken. Den hehren Zielen der Avantgarde müssen die Folgen für konkret Betroffene entgegengehalten werden. Damit wird der Aspekt sozialer Gerechtigkeit zum konservativen Element gegenüber dem Projekt der Nachhaltigkeit. Langfristig muss die Linke aber miteinrechnen, wie Billiganbieter den Arbeitsmarkt schädigen.

 

Mit konkret bezifferter Umwelt- und Klimapolitik verlässt Umweltfreundlichkeit ihr individualpsychologisches Reservat. Sie wird zum Politikum. Tatsächlich gab es so etwas in der Politik des letzten Jahrzehnts kaum, was eben der eigentliche Grund für Politikverdrossenheit sein dürfte. Mit einem CO2-Preis von 60€, der übrigens europäisches Mittelmaß abgäbe, würde die Politik tatsächlich Einfluss auf den Alltag vieler nehmen. Die wären begeistert bis verärgert, bloß in trotzigem Verdruss wird wohl kaum jemand verharren können. Mit einer solchen konkreten Zahl müssen Politiker auch sagen, was sie mit dem Geld vorhaben. Zum Beispiel den ÖPNV ausbauen, durch die folgende Umstrukturierung Benachteiligte entlasten etc.. Diese Staatsausgaben werden auch Arbeitsplätze schaffen. Dies beziehen die Grünen ja schon am grünen Tisch mit ein. Die ambitionierten Ziele werden trotzdem Verwerfungen zeitigen, die nicht vorhergesehen wurden und auf die reagiert werden muss.

 

Als Gegenmodell preist Frau Wagenknecht die Innovationsprojekte „vom Silicon Valley bis zur Biotechnologie“ an. Diese zeichnen sich aber vor allem dadurch aus, dass sie Gemeingüter privatisierten und nie dagewesene Kapitalkonzentrationen ermöglichten. Auf die politischen Nebenwirkungen der Innovationen Silicon Valleys hat die Politik ganz global kaum eine Antwort. Auch ohne marktfeindliche Orthodoxie irritiert mich eine solche Parteinahme einer Linken. Es ist breiter Konsens, dass eine Synthese von gesetzlicher Regulation, Bepreisung auf der einen und Investition in öffentliche Güter und Innovation auf der anderen Seite der Mix ist, der die besten Ergebnisse bei geringster Belastung bringt.

 

Und nun zur Taktik: Durch die Verächtlichmachung des grünen Hipsters kann Frau Wagenknecht wohl ein paar Wackelkandidaten im städtischen, grünen Milieu zur Abkehr vom grünen Projekt bringen. Mehrheitlich werden die aber nicht zu den Linken überlaufen, sondern vor allem zur CDU. Nun hat die Linke zwei Optionen zur Koalition: Die SPD und eben diese hippen Grünen. Vielleicht verfügt ja Frau Wagenknecht über Verbindungen in die CDU-Basis, die mir abgehen, die sie aber spätestens mit ihrer Bündnisalchemie verschrecken dürfte.

 

Tatsächlich sehe ich zwei große politische Themen für die nächsten Jahre oder sogar Jahrzehnte: Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Schon Karl Marx vermutete in seiner politischen Ökonomie Synergien zwischen beiden, auch wenn er den Begriff der Nachhaltigkeit noch nicht kannte. Die Linke sollte aus strategischen Gründen die Grünen samt der ihr nahestehenden Bewegungen als einen Gesprächspartner anerkennen, der den einen Pol betont. Im Gespräch betont dann die Linke eben den anderen. Das Gespräch sollte aber eine wichtige Nebenwirkung zeitigen: Zeigen, dass die sogenannten bürgerlichen Parteien nichts wesentliches, nicht einmal konservatives,  zu diesem Gespräch beizutragen haben. Die SPD muss sich dann entscheiden, ob sie bei den Erwachsenen mitreden will oder bei den altbürgerlichen Relativisten und Trotzköpfen. Dieses Gespräch muss  einen integrativen Schwung haben, der möglichst breite Schichten mitreißt, auch wenn es kontrovers geführt wird.  

 

Nach Erfolg werden wir ab und zu einen in die Jahre gekommenen Hipster belächeln, wie es uns jetzt mit alt gewordenen Rockern unterkommt. Ihr Heiligenschein ist heruntergedimmt oder geht im Hintergrundleuchten auf. Die Demontage des Hipsters erscheint mir mit dieser Perspektive kein vordringliches Projekt.

 

 

 

 

 

Dieser Text bezieht sich auf:

 

Grüne Wohlfühlpartei verspricht sauberes Leben – doch Sankta Annalena behütet nur die Reichen

 

In: https://m.focus.de/politik/deutschland/weitergedacht/weitergedacht-die-wagenknecht-kolumne-gruene-versprechen-sauberes-leben-aber-sankta-annalena-behuetet-nur-die-reichen_id_13261539.html

 

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