Mein Misstrauen gegen innere Harmonie hat bis zu einer Begegnung eine tätige Auseinandersetzung mit fernöstlichen Meditationstechniken aufgeschoben. Bis eben diese Dame mittleren Alters mir unwillkürlich den Ausweg aufzeigte. Die aus ihrem Fingerzeig abgeleiteten Techniken habe ich über die Jahre zu einer festen Form zusammengefügt. Ich will keinem seinen Weg ausreden. Manche meditieren zur Entspannung, die nach dem eigenen Ableben doch eh eintritt,  manche streben die Erleuchtung an. Mir ging es wohl schon immer, Beobachter meiner frühen Kindheit mögen das bezeugen, um Befreiung.

Meine Frau und ich kamen von einer Radtour durch das mallorquinische Hinterland zurück. Bei guten dreißig Grad stimmt man Fahrtwind und Anstrengung, Pedalenrythmus und Atmung aufeinander ab. Am frühen Nachmittag trafen wir wieder im Hotel ein, um nach einem kleinen Imbiss am Pool auszuspannen. Für meine Frau bedeutet dies ein paar Bahnen zu schwimmen, für mich im Schatten zu sinnieren. Eine Liegenreihe vor mir telefonierte eine Dame unseres Alters mit der Heimat. Es ging wortreich ums Wetter und die von ihm verursachten körperlichen Zustände. Der Zuspruch der anderen Seite, den ich in ihren Pausen jedenfalls vermutete, ließ

ihre Klage in einem mühevollen Crescendo ansteigen um in dem Ausruf zu gipfeln:

„Es ist unerträglich - und es gibt kein Entkommen.“

Diese aus der Tiefe ihrer Seele geborgene tiefe Wahrheit über sich selbst in kosmischer Geworfenheit, der jeden Relativismus verstellende Fatalismus beeindruckten mich tief. Gerade, dass ihre Wahrheit meinem Erleben so brachial entgegenstand – ich war ja gerade erst entkommen und zurückgekehrt – zündete bei mir. Ein Mantra muss nicht geglaubt werden, zumindest nicht vom Meditierenden selbst. Dass jemand es aus tiefstem Herzen glaubte, reicht ganz. Ja, der Gegensatz, der Unglauben gegenüber dem Geglaubten öffnet den Raum der Freiheit.

Nun habe ich die Technik jahrelang erprobt und geübt. Sie lässt sich in drei Schritte unterteilen: Lausche in deine Umgebung nach tief empfundenen und impulsiv ausgesprochenen Wahrheiten, die dir selbst so gar nicht entsprechen. Präge dir ihre sprachlich reduzierte Essenz ein, so dass du sie mit oder ohne Besinnung daher sagen kannst. Nimm dann den Asana des Esels mit den Rosenknospen ein – solange du dich nicht gerade in einer Fußballkneipe aufhältst, wo diese Haltung offenbar zu Missverständnissen führt, deren Folge der Urologe, aber das tut ja nichts zur Sache. Du bist jetzt der Esel mit den Rosenknospen. Dein Atem geht ruhig. Atme ein – Es ist unerträglich – atme aus - es gibt kein Entkommen. Und ein, und aus ... bis ein Glucksen aus deinem Zwerchfell aufsteigt.

Lass zu, es ist unerträglich, akzeptiere, es gibt kein Entkommen. Halte das Dysmantra mit deinem inneren Selbst in der Schwebe, den Atem und das Glucksen. Und da - zwischen den Polen des Widerspruchs - zeigt sie sich ganz kurz, die Freiheit. Aber auch im Alltag finden sich Anwendungen achtsam aufgespürter Dysmantras. So rief mir meine Frau, wenn ein langer Anstieg unter brennender Sonne meine Kondition und meinen Mut aufzuzehren drohte, fröhlich zu: "Es ist unerträglich - und es gibt kein Entkommen!" Das aufsteigende Glucksen machte mir das Unmögliche möglich, so dass wir zur Siesta doch noch den Pool erreichten. Von hier aus also meinen aufrichtigen Dank an jene unwillkürliche Weise!