Die deutsche Bevölkerung, ihre Funktionsträger in Politik und Kultur wurden, während sich die Bundesrepublik konsolidierte und nochmals neu nach der Wiedervereinigung, genötigt, die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten. Dieser Prozess war anfangs fremdbestimmt, so in den Nürnberger Prozessen, seine Akteure zogen sich den Unmut der meisten Bürger zu, wie Fritz Bauer als Generalstaatsanwalt von Hessen. Dieser schmerzhafte Prozess ist aber nicht nur notwendig, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für die tolerante und vielfältige Gesellschaft, deren Vorteile wir alle selbstverständlich genießen. Die Aufarbeitung ist Teil unserer Alltagskultur geworden, steht z.B. in so banalen Dokumenten wie Rahmenlehrplänen.
Zu dieser Vielfalt gehören auch die verschiedenen migrantisch geprägten Gemeinschaften. In den Tagen nach dem Terrorangriff der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung zeigt sich gerade in Schulen eine bedenkliche Solidarität. Eine Solidarität mit den Tätern. Darin sind dann deutlich antiisraelische und antisemitische Versatzstücke enthalten. Nun reicht ein Blick bei Wikipedia, um die Ideologie der Hamas auf ihre geistigen Väter, insbesondere Mohammed Amin Al-Husseini*, zurückzuverfolgen. Dieser koalierte, wo immer möglich, mit Nazideutschland und rief den weltweiten Mord an Juden zur heiligen Pflicht aller Muslime aus. Er beteiligte sich als Gruppenführer der Waffen-SS direkt am Völkermord. Dies ist nur ein Auszug aus allgemein leicht verfügbaren Informationen.
Eine multikulturelle Gesellschaft muss jeder Gemeinschaft die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit abgefordern. Am Beispiel Deutschlands sieht man, dass dieser Prozess von außen angestoßen werden muss. Die Verwicklung palästinensischer Eliten in den antisemitischen Völkermord gehört z.B. in die Rahmenlehrpläne einer multikulturellen Gesellschaft. Am Ende machte auch der arabische Antisemitismus die Teilungserklärung 1947 notwendig, um die Fortführung des Völkermords auszuschließen, und verhinderte im folgenden die Gründung eines palästinensischen Staates.
Aus dieser Geschichte zu lernen und sich von den geistigen Erben Al Husseinis zu distanzieren, ist für die Palästinenser eine Voraussetzung der eigenen Staatsgründung und der friedlichen Koexistenz mit Israel. Auch hier würde also die Aufarbeitung eine bessere Zukunft ermöglichen. Eine solche kulturell umfassende Aufarbeitung in den öffentlichen Institutionen unseres Landes und in den Verbänden der betroffenen Gemeinschaften ist aber auch die Voraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens in Vielfalt hier. Dieser Verantwortung müssen sich alle Institutionen unseres Staates stellen. Alle Gemeinschaften in unserer offenen Gesellschaft müssen diese Herausforderung annehmen, so schmerzlich die internen Auseinandersetzungen daraufhin auch sein mögen.
Das alles geht nicht adhoc. Momentan sind z.B. Schulen mit den spontanen Diskussionen in und mit ihrer Schülerschaft ausgelastet. Lehrplankommissionen und andere Gremien werden sich behutsam mit dieser Perspektive auseinandersetzen müssen. Eine multikulturelle Gesellschaft beruht auf der Toleranz und dem Respekt gegenüber Vertreterinnen und Vertretern der je anderen Gemeinschaften. Respekt heißt aber eben auch, den jeweils anderen die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit zuzutrauen und abzufordern. Ohne diesen Aspekt wird Respekt zu einem Stillhalteabkommen, das die Grundlagen der Toleranz aushöhlt. Die Aufarbeitung wird übrigens nicht enden, sondern muss Bestandteil unserer Alltagskultur und Leitlinie staatlichen Handelns bleiben. In einer multikulturellen Gesellschaft muss diese Aufgabe von allen Gemeinschaften angegangen werden. Der Ertrag davon wird eine Gesellschaft sein, in der sich Mitglieder unterschiedlichster Gemeinschaften ohne Angst begegnen und sich gegenseitig bereichern.
Als Pädagoge sehe ich für die junge Generation noch einen weiteren Gesichtspunkt. Gibt man jungen Menschen die Mittel zur Aufarbeitung der Geschichte ihrer Gemeinschaften in die Hand, ermöglicht man ihnen die Emanzipation in diesen Gemeinschaften. Auch dieser jugendliche Zweifel ist für die Erwachsenen, die Funktionsträger oft lästig und schmerzhaft. Er ist aber das Recht der Jugend. Begreift sich Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, müssen z.B. seine Schulen jungen Menschen aller Gemeinschaften zu diesem Recht verhelfen. Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte durch alle Mitglieder unserer Gesellschaft verbindet uns alle mit den universellen Werten, die ein Zusammenleben in Vielfalt erst ermöglichen.

* https://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed_Amin_al-Husseini