Was habe ich eigentlich als mittelalter, heterosexueller Mann von dieser oder jener Emanzipation – z.B. der der Frau? Ist sie vielleicht eine Position, die meinen vitalen Interessen entgegensteht, womit ein Kompromiss die ultma ratio wäre? ann könnte es mit der Emanzipation zu weit gehen, wie manche meiner Artgenossen klagen.

 

Feministische Philosophinnen knöpfen sich ungeniert männliche Geistesgrößen vor, die sich selbst nicht mehr wehren können. Esther Neuhann z. B.: Johann Gottlieb Fichte. Bei ihr las ich, dass  Fichte, wen wird’s wundern, dem Mann beim Geschlechtsverkehr eine ganz aktive, der Frau eine ganz passive Rolle zuweist. Einzig die Sophistik seiner Begründung hat kabarettistisches Potential. Der Mann das potente Subjekt, die Frau das passive Objekt! Nun heißt das Wort Objekt aus dem lateinischen übersetzt: Das Entgegengeworfene. In jener Sprache bleibt es also beim Passiv: Irgend jemand, Mutter Natur, das Schicksal oder ein bärtiger Gott, hat mir eine Frau vorgeworfen, die nun zum Objekt meiner Penetration werden soll. Hier zeigt sich der Segen der Fremdwörter, die jeden inneren Konflikt zudecken!

 

Auf Deutsch entspricht dem Begriff des Objekts der des Gegenstandes. Der Gegenstand beim Fußball ist das runde Lederne. Irgendwann wurde in einer Sportschau ein Foto von Peles Füßen gezeigt. Keiner der Anwesenden hat sie spontan als menschlich identifiziert. In seiner Jugend trainierte Pele ohne Schuhe und die unzähligen Bälle haben ganze Arbeit an seinen Füßen geleistet. Die Bälle standen den Füßen in ihrer Wirkung entgegen. Dass unsere Sprachgemeinschaft jedem abgrenzbaren Gegenstand diese Widerständigkeit zuspricht, zeugt vielleicht von der Sicherheitsorientierung seiner Mitglieder. Demnach wäre der Sexismus quasi der Schuh einer sich als bedroht empfindenden Männlichkeit.

 

Nun muss ich aus dieser rhetorischen Objektivierung der Sexualpartner emporsteigen. Die Widerständigkeit des Gegenübers – ob diese nun haptisch, sozial oder politisch aufgefasst wird,  ist die Voraussetzung ihrer oder seiner Wahrnehmbarkeit: Wir reiben uns aneinander. Sind wir dabei zu zweit, hätte weder Ptolemäus noch Kopernikus ausmachen können, wer sich da eigentlich an wem reibt. Die Lust erleiden im Sinne Fichtes allerdings beide: Ihre Sinneszellen sind der Reibung passiv ausgeliefert, selbst wenn ihre Eigner*innen gerade grobmotorisch hyperaktiv sein sollten, und ihre Hirne den eingehenden Reizen gegenüber ebenso. Triebe man die fichtsche Rollenaufteilung auf die Spitze, dürfte es nur einen empfindungslosen Täter und eine widerstandslos Erleidende geben. Ich meine mit der Qualifizierung dieser Übung als schlechten Sex bewertet Esther Neuhanns den fichtschen Sex noch über. Ich meine es handelt sich sogar um unmöglichen Sex. Ich jedenfalls weiß nicht, wie ich lokalanästhesiert als Triebwesen bestehen sollte.

 

Sollten allzu viele erotische Übungen in diesem Sinne unmöglich sein, könnten wir uns Gegenstände designen, deren Widerständigkeit unserer individuellen Dialektik von Empfindsamkeit und Tatendrang entsprächen. Nun, das Angebot am Markt ist hier schon reichhaltig. Warum begnügen  sich dann so wenige mit einem Liebesleben allein mit Sextoys? Hier kann doch ganz im Sinne Fichtes das Individuum seine Zwecke entwerfen und vernunftbasiert anstreben. Schon Diogenes beklagte eingedenk der Masturbation: „Könnte man doch so durch Reiben des Bauches sich auch den Hunger vertreiben!“

 

Die meisten begehren in scheinbarem Widersinn vor allem ein anders Subjekt als Gegenstand des eigenen Sexualtriebes. Und wer zweimal mit der selben pennt, scheint gespannt auf die neuen Einfälle des Gegenübers zu sein. Die Empfindungen, Wünsche, Regungen und Handlungen des erotischen Gegenübers sind entweder direkte Irritation einer umstandslosen Befriedigung. Sex zu zweit dauert meist länger als der allein. Empfindungen und Wünsche sind zudem latent, also nur hypothetisch aus der Interpretation der Regungen, Handlungen und Aussagen ableitbar. Und der Interpretationsgegenstand bleibt eben wiederum widerständig, was wohl die erotische Spannung ausmacht. Meine ich nach einem Silberblick meiner Lust mein Gegenüber zu kennen, überrascht es mich spätestens im nächsten Liebesakt. Ich weiß nicht inwieweit Fichte als Mensch den Typen seiner eigenen Theorie entsprach. Wer den Geschlechtstrieb des Weibes  für das ekelhafteste hält, was es in der Natur gibt, wie Esther Neuhann Fichte zitiert, scheint von solchen Überraschungen wenig zu halten.

 

Nun kann man sich nach ein paar Jährchen leicht über jemanden erheben, der die Dummheit beging, seine Gedanken systematisch zu fixieren, gerade wenn er es aus einer überwunden geglaubten kulturellen Perspektive heraus tat. Die Überraschung durch die Regungen des Gegenübers bleibt aber insbesondere in intimen Situationen eine essentielle Irritation – Liberalisierung hin oder her. Viele Spielweisen der Sexualität haben ihre Funktion gerade in der Vermeidung einer solchen riskanten Intimität. In einer solchen muss ich mir meine Leiblichkeit, meine Wünsche und Empfindungen eingestehen und die des Gegenübers wahrnehmen.

 

Dies qualifiziert z.B. Sextoys, One-Night-Stands, die altherkömmliche Ehe und Pornografie nicht zum Ausbund des Bösen. Wenn sie genutzt werden, um Intimität zu verdrängen, zu beschränken oder zu ersetzen, beschränken sie Lust allerdings auf selbstbezogene Befriedigung. Eine solche Kastration ist die Voraussetzung dafür, Sex Warencharakter zu verleihen, insbesondere wenn sie auf Dauer geschaltet zur Ausbeutung wird. Wird dagegen Lust zum Teil gegenseitiger Fürsorge, gerade wenn diese über das Körperlich-Geschlechtliche hinausgeht, kann sie das Individuum über seine bornierten Selbstentwürfe hinaustragen, indem sie immer wieder vom intimen Fremden herausgefordert werden. Das Sexuelle ermöglicht die Erotik.

 

Der Eros aber kennt die Unterscheidung von Subjekt und Objekt nicht – was jedem sensiblen Individuum beim Lesen sexistischer Erotologien aufstoßen muss. Nur weil wir sie für normal und gesellschaftlich notwendig halten, bleibt die Aufspaltung in rationales Subjekt und empfindsames Objekt trotzdem für alle Interaktionen widersinnig - siehe Fußball. Vielleicht sollten wir den Körper als empfindsamen wie tätigen Gegenstand auffassen. Seine Widerständigkeit geht über die bloßer Objekte hinaus, indem sein Empfinden und Handeln aufeinander bezogen sind. Diese Widerständigkeit ist die Grundlage jedes Emanzipationsanspruchs.

 

Ich frage mich allerdings, ob dieser Artikel zu spät kommt: Statistiken zeigen, dass Paare zunehmend den Sex in der Partnerschaft höflich unterlassen. Die ideale Partnerschaft nach Cartoon: Er kann nicht und sie will nicht! Der Sex verschwindet aber nicht. In den Gemeinschaften nicht aufgehobene sexuelle Bedürfnisse werden  z. B. auf youporn befriedigt. Dort wird sich aber keiner der sichtbaren Akteure annähernd als autonomes Subjekt ausgeben: Der User folgt seinem voyeuristischen Trieb, die Sexarbeiter*innen ökonomischen Notwendigkeiten. Ganz unsichtbar designet irgendwer die Plattform und irgendwer bereichert sich.

 

Wir sollten uns beeilen überkommene Herrschaftsideologien und ihre Vereinnahmungen unserer Bedürfnisse zu demaskieren, damit wir gemeinsam gegen neue aufstehen können. Wir werden unsere Sexualität nur vor reaktionärer oder marktliberaler Vereinnahmung schützen können, indem wir die Bedürfnisbefriedigung als lustvolles wie konfliktreiches Thema in unseren Beziehungen annehmen, ohne das Gegenüber beherrschen zu wollen. Denn nur in dieser Freiheit scheint mir – bis auf weiteres - zu gelten:

 

Sex ist möglich!

 



[1] Von schlechtem Sex zur patriarchalischen Ehe? (praefaktisch.de , Rubrik Feminismus)