Kapitalismus ist nach erstem Klick im Netz (https://languages.oup.com/google-dictionary-de/)
eine Form der Wirtschaft und Gesellschaft auf der Grundlage des freien Wettbewerbs und des Strebens nach Kapitalbesitz des Einzelnen. Das klingt so lapidar, dass Ökonomen stets behaupten können, der Kapitalismus, dessen wichtigstes Kennzeichen die freien Märkte seien, sei nicht das Problem, wie Marcel Fratzscher auf Radio Eins zum Thementag „The final Countdown“ versicherte. Unschuldslamm Kapitalismus?
Märkte gab es übrigens vor dem Kapitalismus, was mich zur Annahme verführt, es könnte sie auch danach geben. Die Definition sagt aber auch Kapitalismus sei eine Gesellschaftsform. Fragt sich, was dieser die Form verleiht. Ich meine noch nicht als radikal gelten zu müssen, indem ich behaupte, das Mittel zur Formgebung wäre der Kapitalbesitz natürlicher und juristischer Personen, womit verschiedene Gesellschaftsmitglieder unterschiedlich einflussreich sind. Immerhin stecken hinter jeder juristischen Person am Ende eine oder mehr natürliche. Nun bildet die Differenz an Kapitalbesitz ein gesellschaftliches Kontinuum und es gibt auch noch andere Mittel um Einfluss auszuüben, originär politische wie Wahl- und Demonstrationsrecht beispielsweise, auch wenn einkommensstärkere Individuen zu vielen davon wiederum leichteren Zugang haben. Unsere Gesellschaften sind eben nicht ausschließlich kapitalistisch, sondern daneben auch demokratisch. China ist dagegen ebenso kapitalistisch, zusätzlich aber eine Diktatur.
Wenn man den Einfluss zwischen unterschiedlich kapitalstarken Akteuren auf Märkten vergleicht, wird das Prädikat frei an der kapitalistischen Marktwirtschaft fraglich. Wenn man den Freiheitsbegriff kontinentaleuropäischer Republiken auf Märkte überträgt, wäre ein Markt frei, wenn auf ihm kein einzelner Akteur einen oder mehrere andere dominieren könnte. Marktwirtschaftliches Duell zwischen Friedrich Merz und Paketbote? Von einer solchen freien Marktwirtschaft ist der Kapitalismus nicht nur aktuell weit entfernt, mit seinem systemischen Trend zur Kapitalkonzentration steht er im Gegensatz dazu. Eine solche Konzentration fördernde Deregulation macht also schlussendlich unfrei, unterwirft Markt und Politik der Herrschaft der Besitzenden. Also erscheint es mir sinnvoll, Kapitalismus und freie Marktwirtschaft im ersten Schritt begrifflich zu unterscheiden. So können auch Linke die altbewährte Einrichtung des Marktes in ihre Zukunftsentwürfe einbeziehen, anstatt Kleingewerbetreibende ins Gulag zu wünschen.
Ungleichheit zu kritisieren wird oft als Neidkomplex etikettiert. Vor einer Erwiderung denke ich immer an die Untersuchung von Bergführern, die diese in solche mit autoritativem oder demokratischem Kommunikationsstil unterscheiden. Das erstaunliche Ergebnis ist, dass demokratischer Kommunikationsstil die Überlebenschancen der Gruppe steigert. Wenig erstaunlich: Autoritativer Stil die des Bergführers. Ein Schuft, wer jetzt vorhat, von Bergführern auf politische und wirtschaftliche Eliten zu schließen! Zum Beispiel sind regenerative Energien volkswirtschaftlich rentabler. Viele von ihnen ermöglichen aber dezentrale Nutzung wie zum Beispiel das Solarpaneel auf dem eigenen Dach. Das bedroht das Geschäftsmodell großer Konzerne und den sie flankierenden Politikstil. Also bleiben Konzerne und Politik auf zentralen Feldern gesellschaftlicher Entwicklung träger, als die meisten Bürgerinnen und Bürger es fordern. Hier erscheint der Schwarm klüger als seine Leitung.
Eine konsequente wie stetige Umverteilung würde auch diese politische Differenz verkleinern. Sie würde aber auch dem Kapital von Einzelpersonen die die Gesellschaft formende Macht nehmen. Damit bedeutete sie das Ende des Kapitalismus. Nicht weinen: Der Merkantilismus endete auch, war am Ende auch nicht so schlimm wie erwartet. Das Ende der Marktwirtschaft bedeutet Umverteilung garantiert nicht, da sie ja die meisten mit mehr Investitionskapital ausstattet und wenige unwesentlich schröpft. Nur so viel eben, dass sie ihr Kapital nicht in dominierendem Maß zu politischen Zwecken einsetzen können. Sogar die von Umverteilung negativ betroffenen können also ruhig schlafen. Umverteilung müsste unser Wirtschaften sogar dynamisieren, da mehr und agilere Investoren auf den Markt drängten. Dieser Effekt ist sogar am sogenannten rheinischen Kapitalismus historisch nachvollziehbar. Diese wirtschaftliche Dynamik der Umverteilung würde uns auch große gesellschaftliche Umgestaltungen - wie zu einer nachhaltigen Wirtschaftsform- demokratisch ermöglichen. Schon weil demokratische Prozesse das Überleben der Vielen besser in den Blick nehmen, siehe oben.
Zwei Grundbegriffe, hier Kapitalismus und Marktwirtschaft, voneinander zu scheiden, würde zudem flexiblere Diskussionen ermöglichen. Dass sie notwendig zusammengehörten, ist eine ideologische Festlegung, die das Begreifen unserer Welt erschwert. Ist diese Vernebelung vielleicht selbst ideologische Absicht? Warum brauchen wir eigentlich zwei Begriffe, um uns ständig erklären zu lassen, dass sie exakt das gleiche bedeuten? Zentral für ein Leitbild unserer Gesellschaft sollte weder das Wort Markt, noch Wirtschaft, noch Kapital, sondern vor allen das Wörtchen frei sein. Dafür darf niemand Kapital besitzen, dass ihm ermöglicht andere Individuen und Gemeinschaften zu dominieren. Andererseits sollte jede und jeder so viel Kapital besitzen, dass sie autonom in den gesellschaftlichen Gestaltungsprozess eingreifen können. Eine Wirtschaftsform, die sich zwischen diesen beiden Normen aufhält, kapitalistisch zu nennen, halte ich für ahistorisch. Mir scheint es naheliegend, dass die Mitglieder einer solchen Gesellschaft Produktionsmittel nach individueller Präferenz vergesellschaften werden. Eine bolschewistischen Diktatur könnten sie dazu keinesfalls brauchen. Eine solche Gesellschaftsform eines freien Marktes haben wir noch nicht, weder bei uns noch in China. Den Weg dorthin traue ich Demokratien allerdings eher zu wie allen Varianten von Diktaturen. Die Gespräche über den Weg brauchen aber gut unterschiedene Grundbegriffe.