Bislang bin ich immer ins Schleudern geraten, wenn ich auseinander halten wollte, welche gesellschaftlichen Aufgaben nun privatwirtschaftlich und welche gemeinwirtschaftlich, was in Deutschland vor allem den öffentlichen Dienst meint,  geleistet werden sollten. Auf den ersten Blick gibt es zwei sich prinzipiell unterscheidende Kategorien von Gütern. Zum einen die rivalen, also die, deren Nutzung durch den einen die durch den anderen zeitweise oder ganz ausschließt. So kann halt ich den Apfel essen oder jemand anderes. Nun könnte man den Apfel teilen, womit man zwei rivale Güter halber Größe erschaffen hätte, für die  jeweils das gleiche gälte. Setzt man den Vorgang ad Infinitum fort, erhalten am Ende alle nichts. Manche Güter lassen sich nicht einmal sinnvoll teilen, z.B. ein Fahrrad. Allenfalls kann ich mich mit anderen bei der Nutzung des Rades abwechseln. Womit aber das Rad als Gegenstand nicht mehr das eigentliche Gut wäre, sondern das Radfahren, also die Nutzung. Das Rad selbst wäre nur noch das Mittel zu dieser. Das Radfahren mit diesem einzelnen Rad wäre eben in dem Sinne teilbar wie schon der Apfel.

 

Zum anderen scheint es Güter zu geben, die gegenüber ihrer vielfachen Nutzung resilient sind. Dies gilt vor allem für Wissen. Teile ich jemandem den Satz des Pythagoras mit und lehre ihn den Umgang mit demselben, bleibt der Satz immer noch genauso gut: Er behält seine innermathematische Bedeutung und ist immer noch ebenso nützlich in meinem Alltag. Der letzten Behauptung würden viele Unternehmer widersprechen. Exklusives Wissen ist ein Vorteil für die Durchsetzungsfähigkeit auf dem Markt, im Krieg und im Parlament. Anhand exklusiven Wissens können Machtmittel designet werden, mit denen sich der Eigner gegen die anderen Konkurrenten durchsetzen kann. Indem es aber einen Grund gibt, der Gemeinschaft Wissen vorzuenthalten, riskieren wir, dass das in der Kommunikation der Mitglieder fortgeschriebene Wissen nicht wächst oder sogar versiegt. Die Wissensproduktion als ganze wird durch die Vereinnahmung des Wissens als Wettbewerbsmittel bedroht.

 

Aber der Satz des Pythagoras bzw. seine Vermittlung steht noch vor einem anderen Problem: Er wird z.B. in Unterrichtsstunden vermittelt. Diese sind vielleicht nicht gleich einem Apfel, aber gleich der Nutzung des Fahrrades rivale Güter. Ein Lehrer kann in einer gewissen Zeit einer gewissen Anzahl an Schülern den Pythagoras beibringen. Gerade während des Lockdowns mit seinem digitalen Homeschooling wurde deutlich, dass Wissensvermittlung nicht beliebig skalierbar ist. Und während der Lehrer unterrichtet, kann er keine anderen rivalen Güter herstellen.

 

Bis hierhin zeigen ich zwei Strategien, um den Gemeinschaftsmitgliedern den Zugang zu den in der Gemeinschaft produzierten Gütern zugänglich zu machen: Das Verteilen, eben von rivalen Gütern, und die Teilhabe, an Wissen und anderen resilienten Gütern. Nun scheint die Teilhabe an resilienten Gütern nur über das Verteilen der Mittel zur Teilhabe möglich, die wiederum rivale Güter sind. Aber indem rivale Güter, auch wenn sie privatwirtschaftlich gehandelt werden, unsere Lebensverhältnisse bestimmen, führt ab einem bestimmten Maß der ökonomischen Ungleichheit die Frage, warum die einen erhalten, was den anderen versagt bleibt, in moralische und bald auch politische Aporien. Dies zeigt das ein rivales Gut, selbst als Ware, das Mittel zur Verwirklichung eines moralischen Anspruchs der Gemeinschaft  darstellt, eingelöst durch ihre Funktionsträger, wie z.B. den Verkäufer und die Gewerbeaufsicht, aber letztlich in der Verantwortung jeden Mitglieds.

 

Daraus folgt, dass die die Gemeinschaft konstituierende Moral ein Recht benötigt, das jedes Gemeinschaftsmitglied einfordern kann. Insofern ist dies das eigentliche Gemeingut. Diese Moral besteht im Wesentlichen im Anspruch der gegenseitigen Fürsorge. Diese gilt aber den konkreten Menschen mit ihren konkreten Bedürfnissen, die letztlich mittels rivaler Güter befriedigt werden. Diese sind entweder Mittel zur Teilhabe oder werden selbst verteilt, wozu jeweils handhabbare Strategien entworfen werden, die aber ebenso den notwendigen moralischen Ansprüchen genügen müssen. Damit erscheint die Annahme, die Gewinnorientierung sei die einzige moralisch berechtigte Anforderung an ein Unternehmen,  seltsam naiv. Die moralische Grundlegung unternehmerischen Handelns liegt vielmehr in der nachhaltigen und gerechten Verteilung rivaler Güter – und nicht in der Anhäufung des Tauschäquivalents. Damit ähnelt der generelle Anspruch unternehmerischen Handelns dem an die Institutionen des öffentlichen Dienstes als den staatlichen Verwaltern der Teilhabe. Beide unterscheiden sich eben nur in den angewandten Mitteln zur Verwirklichung des Allgemeinwohls. Diese Mittel müssen aber der Kritik unterzogen werden, eben ob sie den Zweck korrumpieren. So wie wir z.B. das Schulrecht bis in seine Ausführungsvorschriften daraufhin befragen müssen, ob es die Ansprüche der jungen Generation auf Bildung und Erziehung umsetzt sowie gesellschaftliche Entwicklungsfähigkeit sichert, müssen die Gesetze des Marktes bis hin zu den einzelnen Geschäftsmodellen  und Produktionsweisen daraufhin befragt werden, ob sie  einer gerechten Verteilung der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung dienen und eine Nachhaltige Entwicklung des Wohlstandes sichern. Es scheint heute ausdrücklich gesagt werden zu müssen: Eine Fahrradfabrik hat den gesellschaftlichen Zweck, Menschen mit Fahrrädern zu versorgen – und ihre Produktion sollte unser aller Umwelt nicht schädigen!

 

Die Gesetze des Marktes haben übrigens nicht den Rang von Naturgesetzen, sondern folgen aus der staatlichen Einhegung menschlichen Gewinnstrebens. Wir haben als Gemeinschaft die Verantwortung, dass der Markt so gestaltet wird, dass diese grundlegende Aufgabe des Unternehmertums mit den betriebswirtschaftlichen Zielsetzungen des einzelnen Unternehmers weitgehend zusammenfällt. Den Gemeinschaftsmitgliedern als moralischen Akteuren muss gegenwärtig bleiben, dass Verteilung als  Mittel der Teilhabe gestaltet werden muss. Nicht weniger und nicht mehr.

 

Wird aber die Einhegung des Marktes so weit aufgegeben, dass der Statuskampf sein beherrschendes Motiv wird, tritt der moralische Anspruch hinter jene naive Gewinnfixierung so weit zurück, dass er für Beteiligte wie Betroffene unsichtbar wird. Dann scheint es zwei unversöhnliche Sphären zu geben: Den Markt als Feld des Statuskampfes und den Staat als Verteidiger der Gemeininteressen. Und wer sich durch beide belästigt fühlt, träumt von Anarchie. Die notwendige Gemeinwohlorientierung unternehmerischen Handelns kann aber nur bei einer entsprechenden Abkühlung des Statuskampfes ins unternehmerische Bewusstsein zurückkehren. Ob wir nun über Nachhaltigkeit, erschwinglichen Wohnraum, Geschlechtergerechtigkeit oder vieles andere mehr sprechen, tritt notwendig die Frage nach der Verteilung der Vermögen hinzu. Insofern wir sie nicht lösen, bleibt generell ein unternehmerisches  Motiv bestehen, unzählige Ausnahmen von all den abstrakt befürworteten moralischen Grundsätzen zu machen. Das dürfen Geschädigte dann nicht persönlich nehmen – es geht nur ums Geschäft!