Vom Grenznutzen der Faulheit

 

Vom Grenznutzen der Faulheit

 

 

 

Was wir müssen, erscheint uns als Last. So erscheint uns als Segen, wenn wir uns den verpflichtenden Tätigkeiten, also der Arbeit entledigen könnten. Dazu müssen wir nur alle Arbeit den Maschinen und Automaten übertragen. Den Wegfall des Arbeitslohns würde dann ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgleichen. Das scheint paradiesisch!

 

Ohne das BGE erscheint die Automatisierung als Drohung, alle ohne Produktionsmittelbesitz in die Arbeitslosigkeit zu drängen. Andreas Peichl hält in einem Statement gegen das BGE dagegen: „In der Vergangenheit hat sich der Arbeitsmarkt jedoch bei jeder technologischen Umwälzung als robust erwiesen. Wenn Berufe wegfielen, entstanden neue, oft bessere Berufe.“[1] Bestimmt ist die naturhafte Umschreibung des Vorgehens durch „entstanden“ der Kürze des Aufsatzes geschuldet. Jemand der keine eigenen Produktionsmittel hat, muss einen solchen neuen Beruf erfinden und Kreditgeber oder Produktionsmitteleigner von dessen Gewinnerwartung überzeugen. Wo findet er aber diese zu professionalisierende Tätigkeit?

 

Zum einen ziehen technische Innovationen neue Berufsbilder nach sich. Ist der Tonträger erfunden, entstehen Plattenfirmen und -läden und eben die ganze uns heute bekannte Musikindustrie. Sie ist voll von Berufen, deren Tätigkeiten vor der Erfindung der Schallplatte nicht vorstellbar waren. Die Schallplatte übernimmt im Privathaushalt aber auch eine Aufgabe, die vordem eigenständig erledigt werden musste: Wer hören wollte, musste spielen. Wird dieser einfache Zusammenhang gesamtgesellschaftlich durch den Vormarsch immer neuer Tonträger aufgehoben, werden neue Zwecke für das Musizieren zwingend: Selbstdarstellung, Gemeinschaftserlebnisse und andere soziale Interaktionen. Nur die Herstellung von Musik entfällt als Grund des Musizierens, da mit einem Plattenschrank die Musik schon hergestellt ist.

 

Das Internet ermöglicht viele ganz alltägliche Handlungen aus der privaten Zuständigkeit herauszulösen. Unten in meinem Haus hat sich Flink eingemietet, ein Lieferdienst für Lebensmittel. Ich kann jetzt 24 Stunden an sieben Tagen die Woche auf den spontanen Einfall kommen, sagen wir mal, ein Bauernfrühstück zuzubereiten. Und mit einem Klick werden mir die Zutaten geliefert. Ich könnte natürlich gleich das entsprechende Fertiggericht bestellen. Damit wird der Einkauf oder das Kochen zu einem exzentrischen Selbstverwirklichungsritual.

 

In der Morgendämmerung der künstlichen Intelligenz schwant uns, dass keine menschliche Tätigkeit nicht irgendwann von einem Automaten besser ausgeführt werden könnte. Würde ich dann eine Liebesbeziehung zu einer echten Frau leben wollen, könnte dieses Ansinnen ähnlich belächelt werden wie meine Muddy-Waters-Imitationen, die ich trotz verfügbarer Tonträger auf Familienfeiern zum besten gebe. Ich alter Exzentriker!

 

Aber in dem Begriff des Entstehens aus dem Zitat schwingt noch die Naturhaftigkeit des Vorganges mit. Wie allerdings die Produktionsmittel fortentwickelt werden, entscheiden die Eigner der Produktionsmittel. Dies gilt auch für aus Innovation hervorgehenden Geschäftsmodellen, die durch die Gewährung von Krediten oder in schon bestehenden Firmenstrukturen verwirklicht werden. Bei einer großen Ungleichheit der Vermögensverteilung ist eben das dem Kredit vorausgesetzte Kapital und der Firmenbesitz ungleich verteilt. Damit sind Unternehmer, aufgefasst als die Entwickler von Geschäftsmodellen, Arbeiter und Konsumenten prinzipiell geschiedene soziale Akteure. Der Arbeiter ist vor allem ein Kostenfaktor, der Konsument sozusagen ökonomisch halberschlossenes Gebiet. Ihm muss dringend seine verbliebene Autonomie – ganz in seinem Interesse - abgenommen werden. Der Unternehmer konzertiert - von staatlichen Eingriffen halbherzig begrenzt - die gesellschaftliche Entwicklung. Diese Trennung verhindert, dass die unterschiedlichen Perspektiven aufeinander bezogen werden. Wäre ein Akteur abwechselnd Unternehmer, Arbeiter und Konsument, würde er die Perspektiven aussöhnen, würde zwischen den sich aus verschiedener Perspektive ergebenden Nutzen ein Optimum mitteln. Es würde sich also ein Grenznutzen der Rationalisierung ergeben, da sich der Unternehmer nicht selbst in seiner Eigenschaft als Arbeiter arbeitslos machen will. Ein Grenznutzen der Faulheit, da der Arbeiter die durch seine Arbeit gestiftete gesellschaftliche Relevanz nicht aufgeben will. Ein Grenznutzen der Dienstleistung, da der Konsument  im Prinzip die Früchte seiner Erwerbsarbeit verspätet aufzehrt. Was soll ich vormittags Fertiggerichte herstellen, die ich dann kaufen muss, weil mein Job mir keine Zeit zum privaten Kochen lässt?

 

Dieser Grenznutzen marktmäßiger Tätigkeiten gegenüber freier, also nicht skaliert bewerteter Tätigkeiten würde das Individuum zum Abwägen befähigen. Alle Eigenheiten des jeweiligen Individuums gehen in diese Abwägung ein. In einer starken ökonomischen Hierarchie gehören dazu auch die Notwendigkeiten aus und die Neurosen durch den Statuskampf. In einer ökonomisch ausgeglichenen Gemeinschaft spielen diese eine marginale Rolle. Sonstige exzentrische Eigenheiten würfeln sich gesamtgesellschaftlich aus dem Portfolio der Entwicklungsbedarfe hinaus. Übrig bliebe dann eine Gesellschaft, in der sinnhafte Tätigkeiten, erfüllter Konsum und gemeinschaftlich orientiertes Unternehmertum sich gegenseitig bedingen. Da in dieser Gesellschaft das sinnhafte und damit maßvolle Tätigsein des Menschen den Maßstab bildet, möchte ich das dorthin führende Kalkül mit dem Grenznutzen der Faulheit umschreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] Andreas Peichl: „Vom Kuchen?“, in Leibniz 1, 2018

 

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