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Pumuckl-Funktion

 Spiritualität feiert ihr Comeback auch als Kritik der Rationalität, der technischen Beherrschung der Welt, als Subversion des Geistes. Diesem Habitus widerspricht das opportunistische Verhältnis vieler spiritueller Marktakteure zu Hierarchien dieser Welt. Eine Mediatorin mit spirituellem Alleinstellungsmerkmal betont in einer Dokumentation über ein alternatives Wohnprojekt, dass sie die zu diagnostizierende Machtverteilung dieser Gemeinschaft ganz ohne Wertung sehe. Da mit mir beim Anblick derart agiler Anbiederung die Wertungen durchgehen, will ich hier gelassen die Funktionen des Irrationalen reflektieren.
Wladimir Megre behauptet von Anastasia, der urrussischen, kleinen Schwester von Jesus unterwiesen worden zu sein. Rudolf Steiner, er stünde mit Elfen und Kobolden in Kontakt. Die Pharaonen, sie seien Mitglieder eines Pantheons. Die exklusive Beziehung, der besondere Zugang oder die Mitgliedschaft definieren einen Unterschied sozialer und damit ganz diesseitiger Natur. Er scheidet die menschliche Gemeinschaft in Wissende, Individuen herausragender Qualität und den defekten, auf eben diese Besonderen angewiesenen Stinknormalen, die Stinos in der Sprache meiner Jugend. Die Differenz rechtfertigt Herrschaft als fürsorglichen Akt.
Damit die Differenz stabil erhalten werden kann, muss das exklusive Wissen geradezu den evidenten Methoden der Erfahrung und den Möglichkeiten eines offenen Diskurses entzogen sein. Man kann zum gleichen Zweck Kobolde nicht durch eine leicht auffindbare Tierart ersetzen, außer man stünde mit derselben in einem exklusiven Kontakt. Insbesondere der Versuch den eigenen Herrschaftsanspruch zu legitimieren, indem man auf gelegentliche Schwätzchen mit den Nachbarn verweist, könnte Nachahmer auf den Plan rufen. Megre musste sich sowohl gegen die zur Wehr setzen, die ihm folgend Kontakt mit Anastasia behaupteten, als auch gegen eine als wahre Anastasia auftretende Volksgenossin. In Notwehr gestand er, seine Anastasia sei eine fiktive, von ihm erfundene Figur. Da fährt man mit Göttern und Kobolden besser. Die Aussicht, man könne die Fähigkeit erarbeiten, in diesen besonderen Kontakt zu treten, lässt Subalterne sich selbst disziplinieren. Hierunter fällt auch das Phänomen, dass Kornkreisgläubige zu Beginn ihrer Karriere oft Kornkreisfälscher waren. Den Komplex der verschiedenen das Irrationale einhegenden und erhaltenden Funktionen und ihrer sozialen Agenten nennt man dann auch Kultur.
Die Existenz von Göttern, Kobolden und ähnlicher Figuren Herrschaft beglaubigender Erzählungen lässt sich nicht beweisen - aber auch nicht widerlegen. Einmal behauptet, lassen sie sich also kaum noch aus der Welt schaffen. Sie werden Teil der sozialen Realität samt ihrer gewaltsamen Herrschaft oder ihrer marktmäßigen Ausbeutung. In dieser strategischen Situation erscheint das jüdische Gottesbild als gewitzte Finte. Man kompiliert die Gottesbilder der kulturellen Umgebung und schreibt ins erste Gebot, sozusagen die Definition Gottes: … der ich dich aus dem Sklavenhaus Ägyptens befreite. Damit verwirklichte das Judentum das Paradox einer emanzipatorischen Religion. Es vererbte diesen Anspruch ans Christentum, ohne ihn aufzulösen. Auch die Linke muss sich in diese Ahnenreihe stellen lassen, wie schon Max Weber wusste. Die Finte hat übrigens die ständige Debatte über und mit dem Gott der Sklavenbefreiung als Nebenwirkung. Das Modell war zwar eine unerhörte kulturelle Neuerung, allerdings das Gegenteil von exklusiv: Was ein Sklave ist, begreift nun wirklich jede und jeder.
Die Zurückweisung der Herrschaft führt über kurz oder lang in eine Situation in der Glauben zur Sache individueller Entscheidung wird. Ich kann mich sogar dazu entscheiden, nicht zu glauben, womit ich übrigens nicht behaupte, alles zu wissen. Tatsächlich stört mich der Glaube eines Gegenübers selten so, dass er mir Toleranz abfordern würde. Es sei denn, dieser Glaube rechtfertigt Herrschaft. Der Bundeskanzler ist kein Pharao, so weit so gut. Aber parallel zu der skizzierten Entwicklung entstand der Kapitalismus, in dem Herrschaft viel schwerer greifbar scheint als in historisch bekannten Systemen. Mein Nachbar aus der gehobenen Mittelschicht hat nur wenig mehr wie ich und selbst einen Nachbarn, zu dem sich sein Status ähnlich verhält. Den Aufstieg soll ich durch eine entsprechende Leistung im Markt bewerkstelligen können.
Ganz oben stehen die Akteure, die den Pharaonen an Macht kaum nachstehen. Und ich kann mich mit ein paar geschickten Transaktionen in einen solchen Halbgott verwandeln. Dies induziert eine Art Marktfrömmigkeit, zu der auch die eilfertige Konstruktion von Alleinstellungsmerkmalen gehört. Eine Konstruktionsmethode ist wiederum die Behauptung exklusiven Wissens samt seiner spirituellen Varianten. Den meisten von ihnen haftet dieses, ich glaube das, weil es absurd ist an, was die oben erläuterte Differenz ermöglicht. Das spirituelle Geschäftsmodell steht jedem offen, die Karrierechancen sind nach oben offen. Jedem steht der große Fundus des Obskuren zur freien Verfügung und jedem steht es frei weitere Obskuritäten hinzuzufügen. In der so entstehenden bunten Szene gibt es kaum rote Linien: Nicht zu den autoritären Modellen der politischen Rechten, nicht zu der ausgeübten Autorität der Superreichen.
Ich stell mir vor, wie jemand einen Dekalog moderner Spiritualität schriebe. Das erste Gebot könnte lauten:

“Ich bin Pumuckl, dein Kobold, der dich gegen Geschäftemacher und Quacksalber wappnete…”

Dieser Pumuckl würde allerdings eine Linie einfordern, wie die, die Aaron mit dem Schwert ins Feldlager zog. Seine Gläubigen wären aufgefordert, jeder Herrschaft in den Arm zu fallen und die Herrschaftsmittel so lange umzuverteilen, bis sie nicht mehr zur Herrschaft taugen. Am Ende zöge eine solche emanzipatorische Spiritualität durch ihre diskursiven Nebenwirkungen allerdings erneut Säkularisierung nach sich. Und die hatten wir ja schon. In einer säkularisierten Gesellschaft können dann verschiedenste Gläubige in wohlwollendem Austausch stehen, um gemeinschaftlich ihre Freiheit zu schützen. Die Behauptung, dass eine solche Welt emotional ärmer wäre, dass Rationalität der Motor dieser Verarmung sei, scheint mir ein Bubenstück der Propaganda. Gegenüber der Legitimation von Herrschaft und all ihren Strategien sollten alle Freiheitsliebenden eine scharfe Linie ziehen, die ihrer Umgebung eine Entscheidung abfordert. Eine Strategie der Herrschsüchtigen ist nämlich die Verharmlosung ihrer Ideologien, die Behauptung der Gleichwertigkeit aller Alternativen und in einer wie auch immer organisierten Marktwirtschaft beinhaltet das, irrational konstruierte Alleinstellungsmerkmale und darauf gründende Geschäftsmodelle zu entlarven, ganz rational. Auch den Markt des Antirationalen, in dem die Esoterik großteils aufgeht, zu kritisieren gehört dann dazu. Keine Angst: Den eigenen Verstand zu nutzen, entzaubert die Welt kein bisschen. Rationale Diskurse unter diesen Generalverdacht zu stellen, erleichtert Strategien der Herrschaft. Welchen Glauben die Menschen in meiner Umgebung immer haben möchten, hoffe ich, dass sie einen ganz gewöhnlichen Wert mit mir zusammen schützen: Freiheit.

 

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